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Arbeitsgruppen

 
Die Arbeitsgruppen des SFB1015 - Förderphase 2 im Überblick:

 

AG 1 - Muße-Immersion-Flow-Trance-Erfahrung
Die Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit der Erfahrungsstruktur von Muße und der Beschreibung und Analyse von Grenzphänomenen der Muße wie Immersion, Flow oder Trance. Diese Begriffe und die durch sie bezeichneten Erfahrungsphänomene wurden im Rekurs auf Theorien aus verschiedenen disziplinären Bereichen  reflektiert, u.a. aus sozialwissenschaftlicher, psychologischer oder phänomenologischer Perspektive.
Unsere Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen beruhte auf der Annahme, dass sich ihre Erlebnisstruktur mit derjenigen der Muße teilweise decken. So untersuchten wir beispielsweise, inwieweit der transgressive Charakter von Muße und die mit ihr verbundene Freiheitserfahrung, die Abwesenheit von temporalen Zwängen und die Absenz von Leistungserwartung auch bei Immersion, Flow oder Trance eine Rolle spielen. Auch die Erfahrung einer alternativen Räumlichkeit spielt vielfach in die Erlebnisstruktur dieser Phänomene hinein. Als nicht weniger aussagekräftig erachteten wir die jeweiligen Abweichungen von der und die Unterschiede zur Muße. Letztlich dienen diese Analysen einer Schärfung des Muße-Begriffes.
Auf einer methodologischen Ebene setzten wir uns mit der Frage auseinander, wie Erfahrungen überhaupt wissenschaftlich fassbar gemacht werden können. Zunächst wurden daher verschiedene Konzeptualisierungsansätze der Begriffe Erfahrung und Erlebnis diskutiert. Unsere Frage ging dahin, welche spezifischen Potentiale der Erfahrungsbegriff in empirisch, diskursanalytisch oder hermeneutisch orientierten Analysen von Muße bereithält. Die Gegenstände und Situationen, an denen sich unsere Auseinandersetzung mit den diskutierten Phänomenen entfaltete, decken ein weites Spektrum ab, das künstlerische Repräsentationen oder historische Berichte ebenso wie empirisch erfasste Daten umfasst.

 

AG 2 - Semantiken der Muße

Die Arbeitsgruppe fragte, wie „Muße“ in den unterschiedlichen Sprachen und Literaturen semantisiert und lexikalisiert wird und welche Relevanz diesen Semantiken für die jeweiligen kulturellen Ordnungen zukommt. Dieser Grundfrage folgend wurde untersucht, ob eine Sprache eine eigene lexikalische Bezeichnung für „Muße“ hat und wie die Lexeme von „Muße“ in einer Vielzahl von Sprachen in Wortfelder eingepasst sind. Im Zuge historischer Vergleiche wurde zudem auf mögliche Veränderungen der Muße-Lexeme innerhalb der untersuchten Literaturen eingegangen. Ziel der Arbeitsgruppe war aber keine isolierte und rein wortgeschichtliche oder lexikographische Forschung, sondern im Sinne der historischen Semantik eine Erforschung der vom jeweiligen historischen Kontext abhängigen kommunikativen Sinnbildungsverfahren. Die für den SFB 1015 zentrale These von der Ambivalenz der Muße in ihrer jeweiligen kulturellen Semantisierung wurde teilprojektübergreifend und interdisziplinär erforscht. Sie verband einen Querschnitt durch die Projekte mit einem komparatistischen Blick auf die Facetten der relativen Freiheit von Zeitzwängen und auf deren kreative Realisierungsmöglichkeiten.

Aus der Arbeit der AG ist u.a. der von Monika Fludernik und Thomas Jürgasch herausgegebene Sammelband Semantiken der Muße aus interdisziplinären Perspektiven (Otium. Studien zur Theorie und Kulturgeschichte der Muße 20), Tübingen 2021 (DOI: 10.1628/978-3-16-160815-5), hervorgegangen.

 

AG 3 - Urbanität und Muße

Die Arbeitsgruppe zu Urbanität und Muße hat zunächst aktuelle Ansätze der Stadtforschung diskutiert und sich mit theoretischen Texten zur Urbanistik auseinandergesetzt. Historische Entwicklungen sollten ebenso berücksichtigt werden wie aktuelle Überlegungen zur Eigenlogik der Städte (Helmuth Berking / Martina Löw) sowie zur Zukunft der Stadt. In einem zweiten Schritt wurden die gewonnenen Erkenntnisse mit unserem Forschungsprogramm zu Muße transdisziplinär in Beziehung gesetzt. Welche räumlichen Strukturen begünstigen oder erschweren Mußeerfahrungen? Den Interferenzen von Stadtstrukturen, urbanen Räumen und Muße hat das besondere Augenmerk der Arbeitsgruppe ebenso gegolten wie den spezifischen Wahrnehmungs- und Reflexionsmustern von jenen, die Muße, in welcher Form auch immer, in der Stadt erfahren. Neben der jeweiligen architektonischen Signatur betrachteten wir Städte auch als Orte gesellschaftlicher Praxis (z.B. der Flanerie) und symbolischer Formen (z.B. der Konsumgesellschaft), deren Wechselverhältnisse in der Arbeitsgruppe mit Blick auf unsere Analysekategorie ‚Muße‘ disziplinübergreifend diskutiert wurde. Die Arbeitsgruppe griff dabei auch die Leitbegriffe der drei Projektbereiche auf: Grenzen (Projektbereich G) spielen dahingehend eine zentrale Rolle, dass Muße in Städten oft transgressiv, im Spannungsgefüge von Zerstreuung und Konzentration, von Trubel und Ruhe, erfahren wird. Die Raumzeitlichkeit (Projektbereich R) bildete die dominante Kategorie, fragten wir doch nach zeitlichen Strukturen von Mußeerfahrungen im städtischen Raum sowie von spezifischen Mußeräumen innerhalb des Raums der Stadt. Und schließlich sind urbane Räume im Sinne Henri Lefèbvres sowohl Voraussetzungen als auch Ergebnisse sozialer Praktiken (Projektbereich P). Die Differenzierung zwischen räumlichen Praktiken, Repräsentationen von Raum sowie Räumen der Repräsentation bildete dahingehend auch einen theoretischen Ansatz, dessen Tragfähigkeit für den Zusammenhang von Urbanität und Muße zu prüfen war. 

Aus der Arbeit der AG ist u.a. der von Peter Philipp Riedl, Tim Freytag und Hans W. Hubert herausgegebene Sammelband Urbane Muße. Materialitäten, Praktiken, Repräsentationen (Otium. Studien zur Theorie und Kulturgeschichte der Muße 19), Tübingen 2021 (DOI: 10.1628/978-3-16-159755-8), hervorgegangen.

 

AG 4 - Muße und Natur

Natur spielt in Mußediskursen eine enorm wichtige, oft auch stark emotional besetzte Rolle. Naturraum wird in seinen kulturellen Konzeptionierungen oft als ein Gegenpol zum urbanen Raum verstanden, welcher von der Erfahrung der Arbeitslast, des Zeitdrucks, der Funktionsgerichtetheit und der Fremdbestimmung geprägt ist – Eigenschaften, denen die positive Aufladung als eines von Zwangen weitgehend freien „Ortes im Grünen“, an dem der Mensch mit sich und der Welt in Einklang zu stehen scheint, gegenübergestellt ist. Mit solchen Zusammenhängen von Muße und Natur beschäftigte sich die Arbeitsgruppe. Natur wurde dabei im weitesten Sinne sowohl als „unberührte“ (Wald, Bergmassiv, See/Meer) als auch als gestaltete Form (Garten, Parkanlagen, Kulturlandschaften) verstanden. Die Arbeitsgruppe interessierte sich ebenso für ihre realen Erscheinungsformen wie für ihre ideologischen Konstruktionen und ihre künstlerischen Inszenierungen.

 

AG 5 - Modifikationen von Muße durch Kulturtransfer

Muße-Diskurse und Manifestationen von Muße in unterschiedlichen Gesellschaften und kulturellen Formationen können ohne Einbeziehung von Kulturkontakt- und Kulturtransferprozessen nicht sinnvoll erforscht werden. Anders als die traditionelle Ideengeschichte analysiert Kulturtransferforschung Transferprozesse mit Blick auf
Personen, Institutionen, Diskurse und mediale Kanäle des Kulturkontakts. Die Arbeitsgruppe sollte jene Projekte zusammenführen, in denen Kulturtransferprozesse von Bedeutung sind, um das Verständnis von Muße auch mit Blick auf kulturelle Identitäts- und Alteritätskonstruktionen zu schärfen und den diskursiv vermittelten Charakter von Muße besser zu verstehen. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe waren für den gesamten SFB auch deswegen relevant, weil Mußekonzeptionen hinsichtlich ihrer kulturellen Hybridität reflektiert und privilegierte Auffassungen von Muße (z.B. antike Traditionen) kritisch hinterfragt wurden.

 

AG 6 - Muße und Wissenschaft

Das abendländische Konzept der Wissenschaft ist eng mit dem Begriff der Muße verbunden. Eindeutig ist diese Beziehung aber keineswegs und spätestens seit der neuzeitlichen Hinwendung zu experimentellen und empirischen Methoden problematisch. Wo die Wissenschaft einem ökonomischen und politischen Nutzenkalkül entsprechen muss, gerät sie zusehends in Konflikte mit den Idealen freier Forschung und Bildung, die implizit oder explizit auf klassische Muße-Konzepte rekurrieren. Dass ein mußeaffines Wissenschaftsideal mitunter in krassem Widerspruch zur Wirklichkeit des ‚wissenschaftlichen Geschäfts’ steht, ist kaum zu bestreiten. Selbst bei optimalen Bedingungen ist die paradoxe Anforderung an akademische Wissenschaft nicht auszuräumen, mit der Muße Freiräume der Besinnung und Kreativität institutionalisieren zu sollen, die sich per definitionem nicht institutionalisieren lassen. Dieses spannungsreiche Verhältnis von Muße und Wissenschaft wurde in der AG thematisiert. Dabei sollten auch explizit die Muße-Forschung der Teilnehmenden und ihre (Muße-)Voraussetzungen reflektieren werden. Gerade im interdisziplinären Rahmen des SFB konnte damit auch eine Plattform geboten werden, die unterschiedlichen wissenschaftlichen Selbstverständnisse der beteiligten Fächer kenntlich zu machen und in ein fruchtbares Gespräch zu bringen.

Aus der Arbeit der AG ist u.a. die von Jochen Gimmel, Andreas Kirchner und Marion Mangelsdorf herausgegebene Sondernummer von Muße. Ein Magazin (5. Jhg. 2020, H. 2, DOI: 10.6094/musse-magazin/5.8.2020) zum Thema "Muße und Wissenschaft" hervorgegangen.